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Freitag, 29. Oktober 2010

Kreativität und Prekarität: Interview mit Julia Seeliger

Julia Seeliger arbeitet bei der taz und moderierte das Forum 3 "Prekäre Verhältnisse: Selbstverwirklicht im Minijob?". Sie selber beschäftigt sich schon lange mit Frauenpolitik und der "Digitalen Bohème", einer neuen Kultur von FreiberuflerInnen.

Missy Magazine: Was sagst du zum Thema Selbstermächtigung von Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen? Funktioniert das mit der Selbstermächtigung? Wenn ja, wie? Kann man durch prekäre Arbeitsverhältnisse wirklich Freiheiten erlangen, was würdest du sagen?

Julia Seeliger: Das ist in dem Workshop so zur Sprache gekommen, wobei ich ja nicht mitdiskutiert habe, sondern nur Moderatorin war. Mir ist nicht ganz klar, wie man Prekarität so einen positiven Drive geben kann, und ich bin eher der Meinung, dass man den Blick weiterhin auf Gesetze zur rechtlichen Gleichstellung und zur Durchsetzung von Mindestlöhnen lenken muss.

Missy Magazine: Du hast jetzt schon ein bisschen über mögliche Strategien und Anknüpfungspunkte geredet. In der Diskussion ging es ja auch vermehrt um neue BündnispartnerInnen gegen prekäre Arbeitsverhältnisse jenseits von Frauenbündnissen allein. Wer könnte Deiner Meinung nach BündnispartnerInnen sein? Wer sollte herangezogen werden?

Julia Seeliger: In dem Workshop wurden schon die sogenannten "neuen Männer" genannt, die auch unzufrieden mit ihrer Arbeitssituation sind, und das finde ich eine sehr gute Idee. Es gibt schon seit längerem auch Initiativen, diese Männer einzubeziehen und das muss sich in der Frauenpolitik noch stärker durchsetzen. Zudem wurden noch die Gewerkschaften genannt und ich finde auch, dass die Gewerkschaften weiterhin die ersten Ansprechpartner sein sollten zum Thema Arbeit, denn es ist ihre Aufgabe ArbeitnehmerInnen zu vertreten. Die Gewerkschaften müssen sich wandeln und auf die veränderten Rahmenbedingungen von flexibler und prekärer Arbeit reagieren, um stärker für diese Leute da zu sein - auch, wenn diese Leute nicht betrieblich organisiert sind.

Seeliger im Workshop
Um nochmal darauf zurückzukommen: Die These von der Selbstermächtigung durch Prekariat fand ich auch problematisch, weil man dann weniger für gleiche und gerechte Verhältnisse kämpft. Dennoch war es für mich eine neue Erfahrung, diesen Begriff des "guten Lebens" noch als zweites Standbein einer Frauenpolitik, die Verhältnisse in der Arbeitswelt verbessern will, nicht ganz aus dem Blick zu nehmen. Das sagte ich auch eben schon mit den "neuen Männern", die nicht mehr so arbeiten wollen, wie es dem klassischen Männerrollenmodell entspricht. Ich werde jetzt den Begriff des "guten Lebens" auch stärker in meine politischen Überlegungen mit einbeziehen.

Missy Magazine: Du sprachst bei Deiner Selbstvorstellung von der sogenannten "Digital Bohème"? Was ist das und wieso bringst Du dieses Stichwort in die Diskussion ein?

Julia Seeliger: Wir hatten hier in Berlin vor einigen Jahren eine große Debatte darüber, weil es nirgendwo wie hier in Berlin soviele Leute gibt, die Kreativarbeit machen, die leider oft sehr schlecht bezahlt ist. Diese KreativarbeiterInnen sind willens, für sehr wenig Geld eine kreative Leistung zu erbringen, weil sie Angst haben, dass sonst jemand anderes die Leistung bringt. Da gibt es wirklich Fälle, in denen Leute zu Dumpingpreisen beispielsweise Mode machen, nur um sich vermeintlich selber zu verwirklichen.

Missy Magazine: Wo siehst Du die Frauen in der "Digital Bohème"?

Julia Seeliger: Im Bereich der sogenannten Digital Bohème sind die Zahlen nicht so gravierend schlecht, aber in Bereichen der typischen Frauenfelder gibt es Leute, die für wirklich wenig Geld arbeiten, z.B. Modemacherinnen. Das gleiche gilt für Grafikerinnen. Da sprechen die Zahlen eine sehr klare Sprache und es gibt sehr viele, die unter 1000 Euro Einkommen im Monat haben und gerade mal so ihre Miete bezahlen können. Das wird dann alles unter Selbstverwirklichung subsummiert und ich finde das sind keine Verhältnisse, die ich gerne haben möchte. Ich möchte natürlich lieber, dass die Leute eine Krankenversicherung und eine Rente haben.

Iris Kronenbitter von der Bundesweiten Gründerinnenagentur hat ja auch gesagt, dass man auch als Frau seinen Marktwert kennen muss. Genau wie wenn man bei der klassischen Festanstellung über seinen Marktwert verhandelt, muss man auch bei Kreativleistungen gutes Geld verlangen.

Missy Magazine: Was hälst Du bisher von der Konferenz? Wie gefällt es Dir?

Julia Seeliger: Ich bin von vorneherein mit positiven Erwartungen in die Konferenz gegangen. Wobei ich sagen muss, dass ich den gestrigen Vortrag von Susan Pinker eher verstörend fand, weil biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen zur Sprache kamen und dann daraus sogar politische Forderungen abgeleitet wurden. Das fand ich sehr problematisch und das hat zum Glück auch viel Kritik vom Publikum ausgelöst. Ich finde, dass hier ziemlich viele spannende Frauen rumlaufen, jung und alt, und auch ein paar Männer, was ich sehr gut finde. Die Location finde ich ebenfalls toll und ich freue mich auf den nächsten Vortrag zum Thema Beziehungen und Social Media, denn das Thema finde ich auch persönlich sehr spannend.

Missy Magazine: Danke für das Interview!

(Svenja Schröder)