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Freitag, 29. Oktober 2010

Forum 7: Fit für die Fortpflanzung? Körper für die Leistungsgesellschaft

Was bedeuten die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin für die Gesellschaft? Führen sie tatsächlich zu mehr Selbstbestimmung? Welche Rolle spielen unterschiedliche Akteur_innen in der Diskussion um das Recht auf Abtreibung?

Dr. Anne Waldschmidt, Professorin für Soziologie und Politik der Rehabilitation, Sarah Diehl, Afrikawissenschaftlerin und Filmemacherin, und Lena Correll, Soziologin und Sinologin, diskutierten sehr unterschiedliche Aspekte der Fortpflanzungspolitik und -technologie. Demografische Entwicklung, ethische Argumentationen und ökonomische Zwänge spielen in der gesellschaftlichen Debatte ineinander.

von Claire Horst

Der Kulturanthropologe Sven Bergmann führte in das Thema Reproduktionstechnologie ein. Er wies auf die zentralen Veränderungen hin, die moderne Technologien für unser Verhältnis zum Körper bedeuten. So habe die Pille den weiblichen Körper kontrollierbarer gemacht. Visualisierende Methoden wie der Ultraschall hätten die Wahrnehmung von Mutterschaft verändert: Dass auf Bildern nur der Embryo zu sehen sei, reduziere die Mutter auf eine reine Nährumgebung.

Aufschlussreich sind auch die unterschiedlichen sprachlichen Herangehensweisen, die er zitierte. Von neutralen Bezeichnungen wie "Reproduktionsmedizin" über die euphemistische "Kinderwunschbehandlung" bis zum "Retortenbaby" oder "Cyborg" gehen die Semantisierungen, mit denen die Reproduktionsmedizin thematisiert wird.

Bergmann nannte schon die Spannungsfelder des Themas: Die Möglichkeit, kinderlosen Paaren zum Wunschkind zu verhelfen, führe zu einer "Hoffnungsökonomie. Er wies darauf hin, dass sich schon in den siebziger Jahren Technologiekritik und Befreiungspotentiale gegenüber standen. Heute reiben sich Pro Life- und Pro Choice- Bewegungen aneinander.

Anne Waldschmidt, Gründungsmitglied des "Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik", sieht in der Diskussion um diese Technologie eine der zentralen Fragen unsere Gegenwart angesprochen, die Frage danach, was wir als schützenswert, was als bekämpfenswert ansehen. Dass die PND Leid verhindern kann, ist ein zentrales Argument für diese Technik. Warum wird das Leid, ein behindertes Kind zu gebären, so hoch angesetzt, fragte Waldschmidt. Sie vermutet dahinter ökonomische Interessen. Auch die These, PND verhelfe Frauen zu größerer Autonomie, überzeugt Waldschmidt nicht. Sie sieht in der PND die Gefahr, auf eine Normalisierungsgesellschaft zuzusteuern, in der Anderssein nicht mehr toleriert wird.

Wird Kinderkriegen immer mehr zu einer Leistung für die Gesellschaft? Erhöht sich damit der Erwartungsdruck an Frauen, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen? Diese Fragen stellte sie in den Raum.

Sarah Diehl, die zweite Referentin, beschäftigt sich mit den Zugangsbeschränkungen, die in Bezug auf Abtreibung in Deutschland bestehen. Deutschland ist eins von vier Ländern in der EU, in denen Abtreibung immer noch illegal ist. Diehl kritisierte die rechtliche Lage, nach der der Embryo als Rechtssubjekt konstruiert werde und damit der Frau als gleichwertig gegenübergestellt werde. Daneben bereiten ihr die Aktivitäten selbsternannter "Lebensschützer_innen" Sorgen. Im Internet, in Schulen und in Kampagnen betrieben diese Gruppen Gegenaufklärung. Im Verlauf ihrer Studien hat Diehl festgestellt, dass Frauen so verunsichert sind, dass sie sich kaum über ihre Erfahrungen mit Abtreibung austauschen.

Lena Correll, die ihre Dissertation zum Thema Fortpflanzung geschrieben hat, hakte bei der These ein, dass Kinderkriegen immer mehr zu einer Leistung für die Gesellschaft werde. Familienpolitik werde wieder zur Bevölkerungspolitik, wenn die demografische Entwicklung angeführt werde.

Sie stellte weiterhin fest, dass Frauen immer noch die Hauptverantwortung für die Fortpflanzung übertragen werde. Männer würden nur am Rande einbezogen, etwa mit der Regelung der Vätermonate.

In der anschließenden Diskussion tauchte ein Verständigungsproblem auf, das den gesamten Kongress durchzog. Unterschiedliche Generationen von Feministinnen sprechen anders und über andere Themen. So bemängelte eine Teilnehmerin, die Vielfalt an Themen wie Queerness, Migration und schwule Vaterschaft verdränge die klassische Frauenpolitik.

Andere fühlten sich von der Diskussion in ihrem Wunsch bestärkt, den wachsenden Normierungsdruck zu kritisieren. Eine Beteiligte beklagte das Verstummen linker Kritik an menschenfeindlicher Diskussionsführung. Es sei einfach, Sarrazins Äußerungen zur Genetik zu kritisieren. Viel notwendiger sei aber eine Kritik an aktuellen Entwicklungen in der Genforschung oder an normierenden Castingshows.