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Freitag, 29. Oktober 2010

Forum 11: Die virtuelle Buchführung der Liebe


von Elisabeth R. Hager

Nach dem Besuch der Diskussionsrunde „Eine Liebe wie Buchhaltung: Romantische Beziehungen und Pragmatismus im Konsumzeitalter“ sieht es so aus, als tummelten sich in den virtuellen Sphären des Internets Lebens- und Liebesentwürfe, denen nicht mehr gemeinsam ist als ein je eigener E-Mailaccount. Unter der Leitung der Publizistin Mercedes Bunz diskutierten der Soziologe und Geschichtswissenschaftler Bastian Schmithal, die Journalistin und Internet-Datingexpertin Judith Alwin sowie die interdisziplinär arbeitende Künstlerin und Politaktivistin Tanja Ostojić über die Liebe im Zeitalter ihrer virtuellen Verfügbarkeit.



Der Familien- und Partnerschaftssoziologe Bastian Schmithal sprach über medial geschürte Vorstellungen von Liebesbeziehungen und ihre Verquickung mit wirtschaftlichen Interessen. Dabei beschäftigte er sich allerdings ausschließlich mit der Institution Ehe und verlor kein Wort über die negativen Implikationen der Ehe als System stützendes Element in der patriachalen Gesellschaft. In der anschließenden Diskussion wurde ebenfalls kritisch angemerkt, dass nicht normative Liebesmodelle im Referat unter den Tisch gefallen waren.



Wer geglaubt hatte, der nächste Diskussionsbeitrag würde ein paar Schritte weiter in Richtung queer diversity gehen, wurde eines Besseren belehrt. Judith Alwin, Erfolgsautorin des Buches „Ins Netz gegangen“ zeichnete ein Bild der Liebesforen im Internet, das eher an die Fünfzigerjahre erinnerte denn an 2010. In der Diskussion hielten gleich mehrere Frauen aus dem Publikum entgegen, dass im Netz weit mehr existiere, als der von Alwin heraufbeschworene „Otto-Katalog für Partnersuchende“.



Nach der Pause bekam die Veranstaltung durch den Redebeitrag der Künstlerin und Politaktivistin Tanja Ostojić dann doch noch einen subversiven Turn. Ostojić stellte ihre Kunstaktion „Searching for a husband with EU passport“ (2000-2005) vor, an deren Anfang sie sich als kahl rasierte, heiratswillige Migrantin im Internet auf die Suche nach einem potentiellen Ehemann gemacht hatte. Zahlreiche Reaktionen heiratswilliger Männer veröffentlichte sie im Internet. Schließlich heiratete sie, zog zu ihrem Mann nach Deutschland und veröffentlichte die Ehe inklusive der Scheidungsparty als Kunstaktion.

In der Schlussrunde standen sich die unterschiedlichen Perspektiven auf die Ehe dann noch einmal monolithisch gegenüber. Mercedes Bunz allerdings verstand es gekonnt, die im Plenum geäußerte Kritik in ihr Schlussplädoyer einzubauen. Judith Alwin verwies erneut auf steinzeitliche Partnerstereotype im Internet, Bastian Schmithal riet zu mehr Vernunft in Liebesdingen und die Forderung von Tanja Ostojić soll auch Schlusswort dieses Artikel sein: „Try to decolonise your minds!“