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Dienstag, 9. November 2010

Videorückblick


Von der Registrierung am Donnerstag bis das die letzte Teilnehmer_in am Samstag das dbb Forum verließ, hat Julia Reinecke, mit Unterstützung von Isabelle Küster, den Kongress mit ihrer Kamera begleitet. Hier ist ihr Zusammenschnitt von Eindrücken und Meinungen.

Dienstag, 2. November 2010

Reflexionen einer Grande Dame – Interview mit Claudia von Braunmühl

Die als unbequeme Expertin in Sachen Entwicklungspolitik bekannte Professorin Claudia von Braunmühl, hatte die Aufgabe den Kongress rückblickend zu reflektieren. Das Missy Magazine sprach mit der bekennenden Feministin nach der Konferenz.
von Margarita Tsomou
Missy Magazine: Als eine Frau mit einem über vier Jahrzehnte währenden gesellschaftspolitischen Engagement blicken Sie auf einen reichen Erfahrungsschatz mit Konferenzen über Genderfragen zurück. Was sind für Sie die Besonderheiten der Konferenz „Das flexible Geschlecht“?
Claudia von Braunmühl: Die Breite der Themen sowie die Vielfalt Teilnehmer_innen, die in diesen Themen hochkompetent sind - entweder weil sie sich wissenschaftlich damit befassen oder weil das ihren Herzschlag ausmacht. Des weiteren fiel mir auf, dass der Diskussionsstil unter Frauen duldsamer geworden ist. Ich meine damit nicht nur freundliche Duldsamkeit. Der Ton stand in fast krassem Gegensatz zu der Schärfe der Adressierung von Anliegen. Das ist ein Schritt in die berühmte Streitkultur, die die Klarheit der Kritik mit Freundlichkeit und Respekt verbindet. 
Claudia von Braunmühl 

Missy Magazine: In ihrer rückblickenden Zusammenfassung des Kongresses haben Sie von Widersprüchen gesprochen. Auf der Konferenz haben die Kontroversen nicht gefehlt. Zum Beispiel das Thema „Frauen an die Spitze“ wurde unterschiedlich diskutiert.
Claudia von Braunmühl: Hinsichtlich der durchaus berechtigten Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen gab es Stimmen, die sagten: ihr wollt Frauen an die Spitze der Gesellschaft, aber habt nur Vermutungen darüber, was das bewirkt – möglicherweise bewirkt das nur eure eigene Karriere und weg seid ihr aus dem sozialpolitischen Auseinandersetzungsfeld. Ich persönlich sorge mich auch ein bisschen über die Entkoppelung des Gleichberechtigungsimpulses von umfassenderen und thematisch noch mal anders gelagerten gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen – dieses Phänomen ist in Deutschland besonders stark. Da müsste man verstärkt nach den ökonomischen und politischen Parametern von Frauen in Führungspositionen sprechen. Auf der Hand liegt es etwa bei der Frage, ob Frauen unbedingt in die Rüstungsindustrie müssen. Ist in irgendeiner Weise zu erwarten, dass sich mit Frauen in den Chefetagen etwas am Zweck dieser Branche ändert? In dem Fall wünschte ich mir, dass Frauen etwas in Richtung Konversion bewirken - also im Sinne der guten alten Forderung „Von Schwerter zu Pflugscharen“ (Redewendung der Friedensbewegung) – sowas könnte ich mir vorstellen. Wenn Frauen allerdings darin nur zur Humanisierung eines Managementdiskurses beitragen, mit dem die Rüstungsindustrie intakt gehalten wird, dann frage ich mich, ob das richtig ist.
Missy Magazine: Zentrale Begriffe der Konferenz sind „Glück“ und „Krise“. Wie sind diese Begriffe Ihrer Meinung nach gefüllt worden?
Claudia von Braunmühl: Ein bisschen zu glatt. Auf der einen Seite gab es diese brillante Einbettung von Glück in eine kapitalismuskritische Folie von Eva Illouz. Auf der anderen Seite wurde das Thema Familie weitgehend unter Bereinigung der Widersprüche diskutiert, die Emanzipationsaufbrüche notwendigerweise mit sich bringen. Also zum Beispiel das Risiko, das eine Frau eingeht, wenn sie sich bestimmten Äußerungsformen von Kavaliersverhalten entzieht oder wenn sie etwas fordert. Zum Beispiel wenn frau ein romantisches Beziehungswochenende „gefährdet“, weil sie am Freitagabend anmerkt, dass der Partner auch mal abwaschen könnte. Das Beispiel mag heute nicht mehr so relevant erscheinen, es sagt aber etwas über das Risikopotential aus, das jede Emanzipationsforderung im privaten wie im gesellschaftlichen Raum enthält. Ich will damit sagen, dass wir doch nicht Strahlefrauen sind und in den neuen Weg blicken, wie der vermeintlich neue Mensch auf den Bildern des Sozialistischen Realismus. Wir haben Widersprüche in uns. Über diese Widersprüche im Aufbruch hätte man mehr sprechen können.
Missy Magazine: Auch die Widersprüche im Glücksempfinden?
Claudia von Braunmühl: Mir ist immer deutlich gewesen wie machtvoll Deutungshohheiten hinsichtlich des Glücksempfindens sind. Ich finde es hochgradig verwirrend, wenn eine ganze Gesellschaft uns sagt „Das ist aber jetzt Glück“ und „so wirst du glücklich“. Die Tiefe und Komplexität dieser intimen Empfindung finde ich nicht so eindeutig. Die Frage ist, wie man in diesem Zusammenhang Glück als gesellschaftliche Kategorie fassen kann.
Missy Magazine: Und was ist mit dem Begriff „Krise“?
Claudia von Braunmühl: In den Diskussionen über Frauen in Führungspositionen wurde angemerkt, dass Frauen insbesondere in Krisenzeiten an die Spitze gehoben werden. Da spielen essentialistische Annahmen eine Rolle. Es wird zum Beispiel angenommen, dass es anders gelaufen wäre, wenn die „Lehman Brothers“ „Lehman Sisters“ gewesen wären. In diesem Zusammenhang fand ich die Anmahnung wichtig, dass die Forderung von Frauen an die Macht keinen Wertewandel markiert, sondern eher ein – vielleicht sogar vorübergehendes – Phänomen der allgemeinen Ratlosigkeit in Krisenzeiten. 
M.Tsomou im Interview mit Professorin von Braunmühl

Missy Magazine: Sie beschäftgen sich schon seit Ende der 60er Jahre mit der Frauenfrage. Was hat sich Ihrer Einschätzung nach im Genderdiskurs bewegt?
Claudia von Braunmühl: Es gibt bestimmte Bilder von Frau über die heute mittlerweile gelacht wird. Sogar die Werbung karikiert sie. Das macht es leichter neue Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Viele der Debatten, die hier über Sexualität geführt wurden – was ich Fragen der Körperpolitiken nenne – wären vor Jahren gar nicht möglich gewesen. Auch Ansprüche im Rahmen der Gleichstellungspolitik können heute artikuliert werden, die früher nicht so möglich gewesen wären. Und an manchen Punkten sind auch bestimmte Dinge auf Seiten der Männer nicht mehr so sagbar.
Missy Magazine: Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Claudia von Braunmühl: Das Phänomen, das Frau Meckel in ihrem Vortrag angesprochen hat, dass nämlich in Ansprachen oft ihr Titel ausgelassen wird, ist mir sehr gut vertraut. Nun habe ich einen komplizierten Namen – die korrekte Ansprache wäre Frau Professor Claudia von Braunmühl. In protokollarischen Situationen, also zum Beispiel im Auswärtigen Amt, wo die Form der Vorstellung Status und Rederecht vergibt, ist die Art der Ansprache sehr wichtig. In solchen Situationen wird zum Beispiel Dr. Müller und Professor Meier vorgestellt und ich als Frau Äääh?-Braunmühl. Kann ich das zulassen, darf ich das zulassen? Wird mein Rederecht beschränkt? Was ist mit meiner Kränkung, die Kränkung der Sache, die ich vertrete? Versaue ich die Atmosphäre, wie beim Beispiel mit dem Freitagabend, das ich erwähnte, wenn ich mich beschwere? Jedes Mal hab ich ein Programm am laufen, was Männer überhaupt nicht haben. Denn ich bin diejenige, die die Assymetrie der Diskriminierung wahrnimmt. Die Spielregeln laufen zu meinen Ungunsten und das nimmt ein Teil meiner Energie weg.
Jetzt sage ich aber auch noch was Positives. Als ich noch relativ jung war, kam ich in eine Position, wo es fürchterlichen Terror gab, dass ich als Frau dahin befördert wurde. Nämlich die der Landesdirektorin des Deutschen Entwicklungsdienstes in Jamaika. Aus meinem Büro hörte ich meine Sekretärin am Telefon erläutern „The new director is a she“. Aber mit diesem kleinen „it ´s a she“ war das Thema in Jamaika erledigt. Und wir hier in Westeuropa behaupten immer, wir wären so aufgeklärt und alle andere Länder wären hinten dran. Das hat Gründe, die ich hier nicht weiter ansprechen werde. Aber es ist mir wichtig zu erwähnen, dass ich mein Lebtag nicht so viel Kraft, Energie und Lebenslust in meinem Beruf hatte, wie zu dieser Zeit in Jamaika. Weil ich nicht immer dieses doppelte Programm am Laufen hatte, von dem ich vorhin sprach. Was das an Kräften freigibt! Wenn die Herren hierzulande das auch mal hinkriegen würden...

Missy Magazine: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Montag, 1. November 2010

Der Rückblick

von Claire Horst

Ein Rundumschlag über die zentralen Debatten aktueller geschlechterpolitischer Gesellschaftskritik, und das in zweieinhalb Tagen – ist das überhaupt möglich? Dieses Wochenende hat gezeigt, dass es geht, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten. "Gender, Glück und Krisenzeiten in der globalen Ökonomie", der Untertitel deutet auf die Vielfalt der behandelten Themen hin. Um die Verschränkung von Genderfragen und Ökonomie in einer sich verändernden Welt sollte es gehen, und ein Blick in das Programm verdeutlichte die Multidimensionalität des gigantischen Themenkomplexes.


Der Kongress hatte die besten Voraussetzungen: Veranstaltet von der Bundeszentrale für politische Bildung, auf den Podien Expert_innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, NGOs, und, der wichtigste Aspekt, Teilnehmer_innen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen. Wie oft gibt es das, eine Veranstaltung, auf der Beamt_innen und Student_innen, Künstler_innen und Aktivist_innen über Genderfragen ins Gespräch kommen?

Genau in dieser Vielfalt lag auch die Schwierigkeit. Verständigung wird erschwert, wenn Begriffe gegensätzlich interpretiert werden. Essentialistische Vorstellungen von Männern und Frauen standen neben einer gänzlichen Ablehnung der binären Trennung zwischen den Geschlechtern; die Forderung nach mehr Frauen in Chefetagen neben der nach dem Schulterschluss mit Gewerkschaften gegen Prekarisierung – all diese Positionen traten aufeinander. Dementsprechend durchzogen manchmal mehr, manchmal weniger produktive Kontroversen den Kongress. Während einige immer wieder die Konzentration auf Frauenrechte forderten, verlangten andere eine stärkere Auseinandersetzung mit intersektionellen Fragestellungen.


Angesichts dieses viel versprechenden Spannungsfelds der unterschiedlichen Diskurse verwunderte es, dass die zentralen Key Lectures vornehmlich den Blick auf klassische Fragestellungen der Frauenbewegungen richteten. Susan Pinker gab am ersten Tag die Perspektive vor. Um die biologisch begründeten Unterschiede zwischen Mann und Frau ging es da, mit denen sie gegen Gleichstellungsbestrebungen argumentierte. Eine Welt jenseits des Dualismus von Frau und Mann? Fehlanzeige. Gesellschaftliche Normierungen als Faktor für Unterschiede blendete Pinker aus.


Ähnlich wie diese erste Key Lecture löste auch das Abschlussstatement von Miriam Meckel kontroverse Diskussionen aus. In ihrem Kampf für mehr Frauen in Führungspositionen konnten einige Teilnehmer_innen kein befreiendes Potential mehr sehen – relevant sei diese Diskussion nur für einen verschwindend kleinen Teil der (weißen, deutschen, gebildeten) Frauen.


So hatte die klischeehafte Zeichnung von Genderrollen in den zentralen Reden überlagernde Effekte. Die große thematische Offenheit der Foren, die oft sehr fundierten Thesen und erhellenden Gespräche wurden darin nicht widergespiegelt. All die Diskussionen über Marginalisierung von Nichtweißen, über die Instrumentalisierung von Frauenrechten zur Stigmatisierung Nichtdeutscher und über ein Leben jenseits der Zweigeschlechtlichkeit - nur bunte Farbtupfer am Rande der wieder in den Mittelpunkt gerückten "Geschlechterkämpfe"?


Claudia von Braunmühl machte in ihrer Zusammenfassung des Kongresses deutlich, dass Diskriminierung mehrere, komplex verschränkte Ebenen umfasst. Sie drückte ihre Überzeugung aus, dass Geschlechterpolitik immer in eine umfassende Gesellschaftskritik eingebunden werden muss. In ihrer Rede war die Vielseitigkeit der Diskussionen und Foren noch einmal zu spüren.

Mit dem Ende des Kongresses stellt sich die Gretchenfrage: Wozu das Ganze? Zu begrüßen ist, wenn an so prominenter Stelle den unterschiedlichen Blickwinkeln gegen Unterdrückungsmechanismen Raum geboten wird. Bei der Kritik darf es aber nicht bleiben. Missstände aussprechen zu können, ist nur ein Etappenziel. Prekäre Arbeitsbedingungen, rassistische Strukturen, sexistische Gesetzgebungen müssen auch verändert werden.


Samstag, 30. Oktober 2010

Key Lecture mit Miriam Meckel


Miriam Meckel von der Universität St. Gallen hält die Key Lecture am Samstag, den 30.10.2010. Das Video zeigt kurze Ausschnitte aus ihrer Rede und aus der anschließenden Diskussion.

Miriam Meckels Keynote "Symbolische Selbstverleugnung"


von Svenja Schröder

Miriam Meckels Keynote "Symbolische Selbstverleugnung" am Abschlusstag der Konferenz wurde von vielen mit Spannung erwartet. Ihrem Vortrag zufolge gibt es drei zentrale Aspekte, die eine große Rolle bei der fehlenden Gleichberechtigung der Geschlechter spielen: Erstens gibt es zu wenig Frauen, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Führungspositionen innehaben. Zweitens fehlt es an weiblichen Role Models, die den Weg für jüngere Frauen weisen. Daran schließt sich Meckels dritte These an, dass es schwer ist, Frauen für aktive gesellschaftliche Teilhabe zu gewinnen, da viele unter einem geringen Selbstbewusstsein leiden.

Denn viele Frauen stünden sich auf dem Weg an die Spitze selbst im Weg. Sie forderten nicht das ein, was ihren männlichen Kollegen ganz selbstverständlich zustünde, beispielsweise gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dies löse in den Frauen Stress aus, was bisweilen sogar bis zum emotionalen Zusammenbruch führen könne. In diesem Punkt spricht Frau Meckel aus Erfahrung, denn sie selbst hatte 2008 einen Burnout. Ihre Erfahrungen mit dem Burnout-Syndrom veröffentlichte sie dieses Jahr in dem Buch "Brief an mein Leben: Erfahrungen mit einem Burnout". Dass sie im Laufe ihrer steilen Karriere oft die einzige Frau unter Männern gewesen sei, habe rückblickend betrachtet bei ihrem Zusammenbruch eine Rolle gespielt. Die einzige Frau zu sein sei zwar ein Alleinstellungsmerkmal, aber auch ein Zeichen der immer noch fortwährenden massiven Missständen.

Frauen müssen mutiger werden, so Meckel, sie müssen "nein" sagen und Forderungen stellen. Da dies gemeinsam besser ginge als alleine, müssen Frauen außerdem Netzwerke aufbauen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Meckel forderte einen zeitgemäßen Genderdiskurs, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen und mehr Frauen als Role Models zu gewinnen. Als Instrument zur Durchsetzung dieser Forderungen verwies sie auf gesetzliche Grundlagen, allen voran die Frauenquote. In Norwegen funktioniere dies sehr gut, dort seien heute bereits 40 Prozent der Führungsräte mit Frauen besetzt.

Nach dem Vortrag sprach die Journalistin Ferdos Forudastan, die die anschließende Diskussion moderierte, Frau Meckels Forderung nach einer Frauenquote an. Frau Meckel meinte, dass sie früher vehement gegen die Quote argument hätte. Heute würde sie aber sagen, dass es nicht anders ginge, um die gravierenden Missstände zu beseitigen. Deutschland sei ein Land der ängstlichen BewahrerInnen. Nicht umsonst gäbe es für das Wort "Rabenmutter” (verwendet für Mütter, die gleichzeitig arbeiten gehen) in keiner anderen Sprache eine Entsprechung. Auf die Frage von Forudastan, wie man den Diskurs umdrehen könne, antwortete Meckel, dass die bestehenden Strukuren aufgebrochen werden müssen.

In der sich anschließenden Diskussion wurde Frau Meckels Position für mehr Frauen in Führungspositionen mehrfach kritisiert. Frauen in Führungspositionen würden sich nicht zwangsläufig für mehr fortschrittliche Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, so eine Teilnehmerin. Dies würde an der Frauenquote der CSU oder der der Republikaner in den USA deutlich. Auch sollte der Fokus darauf gelegt werden, dass es bei der Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit nicht nur um die Führungspositionen gehen dürfe. Nur für mehr Frauen in Führungspositionen zu plädieren wäre eine zu kurze Sichtweise, da so der Fokus nur auf schon gut verdienende, bereits angestellte Frauen gerichtet würde. Frau Meckel entgegnete darauf, dass dies nur die Perspekte sei, die sie herausgegriffen habe, und dass die anderen Sichtweisen natürlich nicht vernachlässigt werden dürften.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass es vielleicht ein guter Ansatz ist, vermehrt Frauen in Führungspositionen zu bringen, um so nachhaltig Unternehmenskultur zu ändern und mehr weiblichen Role Models den Weg zu ebnen, trotzdem darf nicht vernachlässigt werden, dass dies nicht der einzige Kampf ist, der geführt werden muss. Besonders auf den Schnittstellen von Sexismus, Klassismus und Rassismus (und natürlich anderen Ismen) wird sich so für die Mehrzahl aller Frauen nichts ändern.

Zweisame Demokratie? Interview mit Ins A Kromminga


Ins A Kromminga ist Künstler_in und Aktivist_in in der Internationalen Vereinigung intergeschlechtlicher Menschen. Nachdem sie_er in Forum 9 über die Grenzen und Ausschlüsse der zweigeschlechtlichen Ordnung gesprochen hatte, bat ihn_sie Missy noch mal zur Privataudienz.

Von Sonja Erkens

Missy Magazine: Liebe...r, äh...ich weiß jetzt gar nicht, wie ich Dich ansprechen oder über Dich schreiben soll... Welche Pronomen sind Dir denn am liebsten, Du bezeichnest Dich ja als „eindeutig zwischengeschlechtlich“...

Kromminga: Schriftlich gibt es ja mittlerweile den Unterstrich, also die gap-Schreibweise; im Panel haben wir versucht, das auch so zu sprechen, also beispielsweise „Sprecher_innen“ zu sagen. Bei Pronomen benutze ich meistens Doppelungen, also „der_die Sprecher_in“ – wichtig ist mir dabei, immer auf den Unterstrich hinzuweisen, der einen Raum zwischen den Geschlechtern anzeigt.

Missy Magazine: Und wie funktioniert das in der Praxis, also auf welche Resonanz stößt Du damit? Wir haben ja im Forum gehört, dass das gesellschaftliche Bewusstsein um Menschen jenseits des polaren Geschlechterkonzeptes eher gering ist.

Kromminga: Ja, die meisten Menschen akzeptieren das zwar und bemühen sich, mich nicht als Frau oder Mann anzusprechen – dass es ihnen trotzdem nicht leicht fällt, mich auch tatsächlich nicht als Frau oder Mann, sondern als etwas dazwischen zu sehen, zeigt sich dann aber doch meistens darin, dass sie sich verhaspeln oder in einer Situation „er“ und wenige Momente später „sie“ sagen. (lacht) Über diese Verwirrung freue ich mich aber eigentlich eher.

Missy Magazine: Auch innerhalb feministischer Diskurse geht es ja häufig sehr identitätspolitisch zu, also besteht der Anspruch, ganz generell „Fraueninteressen“ zu diskutieren oder zu vertreten. In welcher Rolle siehst Du Dich, die_der Du ja keine Frau bist, auf diesem Kongress?

Kromminga: Also ich finde es erstmal super, dass wir hier einen Raum haben, um darauf hinzuweisen, dass die Idee von queer eben weiter geht und gehen muss, als vielleicht die feministische, die sich meistens nur auf die Gruppe der „Frauen“ bezieht. Identitätspolitik finde ich aber völlig okay, wir arbeiten ja auch identitätspolitisch und sagen von uns, dass wir inter*, trans* beziehungsweise queer sind. Mir ist dabei wichtig, dass diese inter*, trans* und sonstige queer-Identitäten, die wir uns ja auch erst erarbeiten mussten, einen gleichberechtigten Status bekommen wie „männlich und weiblich“ – denn eine generelle Kritik der Heteronormativität ist für alle Menschen sinnvoll!

Missy Magazine: Liegt da nicht noch ein ziemlich langer Weg vor Euch? „Feministinnen“ wie Susan Pinker, die hier auch einen Vortrag gehalten hat, vertreten ja nach wie vor die Ansicht, Geschlecht sei biologisch bestimmbar, was sich an verschiedenen Gehirnschemata von Mädchen und Jungen beweisen ließe...

Kromminga: Bei solchen biologistischen Erklärungen reagiere ich erstmal allergisch (lacht): Wieso soll ich mir von Naturwissenschaftler_innen erklären lassen, wer oder was ich bin?! Aber das wurde ja auch im Panel thematisiert, dass die Biologie Menschen kategorisiert und für krank erklärt und eben nicht danach fragt, wie sich diese Menschen selbst sehen oder als was sie sich empfinden. Für meine Begriffe hat aber die Kultur einen viel größeren Stellenwert bei der Beantwortung der Frage, was uns als Menschen ausmacht.

Missy Magazine: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Missy-Team bei der Arbeit

Svenja Schröder, Social Media Nerd_in

Claire Horst, prekäre Agent_in

Vera Hofmann, Scheinwerfer_in

Sonja Erkens, Bodenpersonal_in

Margarita Tsomou, Redaktionspräsident_in

Juli Reineke, Videofüchs_in

Forum 9: Zweisame Demokratie? Gegenwart, Widerstand und Perspektiven




Von Sonja Erkens

„All Genders welcome!“ hieß es ermutigend in der Kongressankündigung und höchst wahrscheinlich wurde diese Aufforderung am konsequentesten in Forum neun erfüllt: Erfahrungen mit den Grenzen und Ausschlüssen von Zweigeschlechtlichkeit gab es dort quasi aus erster Hand, also von Menschen, die sich als Trans* oder Inter* begreifen. „Wir sagen Trans oder Inter und denken uns das Sternchen dahinter dazu“, erläuterte Adrian da Silva von der Berliner Humboldt-Universität. „Das bietet die Möglichkeit, sowohl beispielsweise Intersexuelle wie auch Intergender-Identifizierte anzusprechen.“

Als erster Stolperstein beim Sprechen über und vor allem mit Menschen, die sich keinem der üblicherweise zwei angebotenen Geschlechter zugehörig fühlen, entpuppte sich nämlich – ganz banal – die Sprache selbst: Wo Worte fehlen, fehlt letztlich auch das Bewusstsein um die Existenz dessen, was benannt werden müsste.

Dass die Medizin sehr wohl über ein Repertoire an Begriffen verfügt, mit denen sie Menschen mit beispielsweise sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsorganen beschreibt, erläuterte Ulrike Klöppel von der Charité Berlin – allerdings dienten diese Begriffe immer der Pathologisierung, also dazu, etwa intersexuelle Menschen als „krank“ zu definieren - weil sie als Ausnahme von der Regel begriffen werden. Gegen diese Annahme, also dass die häufig auch „Hermaphroditen“ genannten Menschen durch hormonelle „Therapien“ oder gar operative „Geschlechtsangleichung“ „geheilt“ werden müssten, setzt sich die_der Künstler_in und Aktivist_in (Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen) Ins A Kromminga seit Jahren ein: „Inter* ist keine Krankheit, sondern eine Form des Menschseins!“, sagt Kromminga, die_der sich selbst als „eindeutig zwischengeschlechtlich“ bezeichnet.

In der bisweilen traurigen Realität ist diese Sichtweise jedoch eher eine randständige. Konstanze Plett, Rechtswissenschaftlerin an der Universität Bremen wies auf das Transsexuellengesetz hin, das eine Geschlechtsumwandlung nur dann als rechtskräftig erklärt, wenn sich die betreffende Person sterilisieren lässt, sodass beispielsweise eine ehemals biologische Frau, die nun als Mann lebt, nicht schwanger werden kann: „Diese Gesetzgebung ist skandalös und verstößt gegen die Menschenrechte!“

Auch Arn Thorben Sauer vom Verein TransInterQueer präsentierte eher deprimierende Zahlen hinsichtlich der Diskriminierung von Trans*-Menschen: Ein überwiegender Teil derer, die im Verlauf ihres Lebens das Geschlecht wechseln, hat bei Vorstellungsgesprächen schlechte Karten, verdient miserabel und leidet zu allem Übel noch häufig an Depressionen.

Nur was tun, um die vermeintlich natürliche Zweigeschlechtlichkeit, die uns nur in wenigen Lebensbereichen nicht begegnet, ein bisschen aufzulösen? Bei aller Bescheidenheit schlägt Uta Schirmer, Dozentin an der Wiesbadener Hochschule RheinMain, die eine oder andere Drag-Kinging(oder –queening)-Session vor: ein bisschen angeklebtes Gesichtshaar sei manchmal schon genug, um zu verdeutlichen, dass die Grenzen zwischen „weiblich“ und „männlich“ fließend sind – und ein bisschen Verwirrung der eigenen Umwelt kann ja bekanntermaßen nie schaden.

Was sagen die TeilnehmerInnen? Kommentare zum Kongress


von Svenja Schröder

Was sagen die TeilnehmerInnen zum Kongress? Was gefiel und was ist hängen geblieben? Ein paar Eindrücke:

"Programm und Themenstellung und die Besetzung mit den Referenten war sehr gut und interessant. Ein interessanter Blick von verschiedenen Fachrichtungen aus. Ich bin sehr überrascht über die Qualität der Beiträge. Die Diskussion in Forum 10 'Verhandlungssache Familie' fand ich besonders gut, dabei ist viel für mich persönlich herausgekommen. Erwartungen am Arbeitsplatz vs. Rollenverteilung in der Familie ist ein spannendes Spannungsfeld." (anonym)

"Die Workshops heben sich ganz deutlich ab von der Key Lecture ab. Was ich für mich als Gleichstellungsbeauftragte sehr schwierig finde, ist, das hohe Niveau des fachlichen Inputs in meine Arbeit zu übertragen. Mir fehlen die Transferwege von den soziologischen Theorien in meinen Arbeitsalltag. Ich war in zwei ganz tollen Foren, einmal Forum 10 'Verhandlungssache Familie', auch wenn Angela McRobbie leider nicht da war, und dann das Forum 8 'Ich bin Porno', in dem die gesellschaftskritische und pragmatische Seite gut dargestellt wurde." (Kerstin Schoneboom, Fachhochschule Kiel)

"Mein Eindruck ist durchwachsen. Besonders ist mir die Eröffnung im Gedächtnis geblieben, weil ich sehr begeistert war über die Einleitung. Es war eine sehr politische Einleitung, in der auch sonst marginalisierte oder verschwiegene Einsprüche in den weißen Mainstream-Feminismus angesprochen wurden. Entsetzt war ich von der Auswahl der Referentin für den Eröffnungsvortrag, der im krassen Gegensatz zur Einleitung von Thomas Krüger stand, und für eine Rebiologisierung und Entpolitisierung der Geschlechterverhältnisse plädierte. Das hat mich geärgert, weil es auf einer Tagung der politischen Bildung eigentlich darum gehen müsste, Geschlechterverhältnisse eben zu entbiologisieren und politisieren. Das warf bei mir sehr viele Fragen auf. Das Publikum ist sehr gemischt im Gegensatz zu anderen Geschlechterkonferenzen - dadurch wäre ein Dialog möglich gewesen, der leider nicht in einem Maße zustande gekommen ist, wie ich es mir gewünscht hätte." (Dr. Volker Woltersdorff alias Lore Logorrhöe, FU Berlin)

Symbolische Selbstverleugnung



Die Forderung nach Gleichberechtigung und Chancengleichheit sollte ein besseres Leben ermöglichen. Aber wurde dieses Ziel auch erreicht? Neben den Erfolgsbilanzen fällt eine andere Entwicklung ins Auge: Frauen sind weniger zufrieden und leiden besonders unter Depressionen und Burn-Out. Aber war Glück je der passende Parameter? Und wer oder was bestimmt ein gutes Leben?

Key Lecture von Prof. Dr. Miriam Meckel, Universität Sankt Gallen

Forum 8: Ich bin Porno! – Die neue sexuelle Revolution?


von Svenja Schröder und Sabine Rohlf

Es war nicht anders zu erwarten:  bei einem Panel mit einem solch brisantem Thema war der Raum voll, als Nana Adusei-Poku die TeilnehmerInnen begrüßte. Um alle Anwesenden auf das Thema einzustimmen, zeigte die Promovendin im Graduiertenkolleg "Geschlecht als Wissenskategorie" an der HU Berlin in ihrer Einführungspräsentation Werbebilder mit Pornoreferenzen, die in unserer Konsumwelt zum Alltag gehören: z.B. phallusartige Lippenstifte und schamverhüllende Parfumflakons. Dabei stellte sie mehrere Fragen: Wer wird hier eigentlich befriedigt? Sind DIY-Pornos die neue sexuelle Revolution? Und welche Auswirkungen hat die Bildersprache von Porno auf unsere Sexualität und unsere Beziehungen?

Johannes Gernert bei seinem Input-Vortrag

Den ersten Inputvortrag hielt Silja Matthiesen vom Zentrum für Psychosoziale Medizin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und zwang dem Veranstaltungstitel zwei Fragezeichen auf: "Bin ich Porno? - Eine neue sexuelle Revolution?" Sie berichtete von ihrer Studie zu Jugendsexualität und den Auswirkungen von Pornografie auf Jugendliche. Jenseits von Medienberichten, wie dem 2007 erschienenen Stern-Artikel "Voll Porno! Wenn Kinder nicht mehr lernen, was Liebe ist", lässt Matthiesen die Jugendlichen und nicht die Medien sprechen. Ihren Befunden zufolge gehören Pornos heutzutage mehr und mehr zum Alltag der Jugendlichen, wobei eher Jungen als Mädchen pornografisches Material konsumieren. Ihr Fazit dazu ist, dass die Normalisierung von Pornografie dazu führt, dass die Jugendlichen gelassen und sogar belustigt Sexszenen gucken können, ohne direkt alles zwanghaft nachzunahmen. Sie spricht hierbei von sexueller Zivilisierung der Jugendlichen.

Linda Hentschel und Antke Engel

Johannes Gernert, Autor des 2010 erschienenen Buches "Generation Porno", ging näher auf die von Pornografie veränderten Körperbilder von Jugendlichen ein. Seine Frage war, ob sich Jugendliche heute in Zeiten von StudiVZ und Youporn stärker mit ihrem eigenen Körper beschäftigen. Für ihn ist Pornographie auch eine Form der Inszenierung – man tut so, als wäre es echter Sex, aber mit großer Show drumherum. Leider wurde trotz einiger Statistiken in seinem Vortrag nicht klar, ob Pornographie Körperbilder von Jugendlichen beeinflusst oder nicht.

Antke Engel bei ihrem Vortrag

Intensiv diskutiert wurde nach der Pause das Statement von Antke Engel, der Leiterin des Queer Instituts Berlin, insbesondere ihre Ausführungen zu Gesetzesinitiativen gegen Frauenhandel und Genitalverstümmelung. Sie reproduzierten ihrer Meinung nach die problematische Opposition „der westlichen Zivilisation gegen das unzivilisierte andere“, zementierten so die Binarität zwischen weiblichem Opfer und männlichem Retter und seien entsprechend zu kritisieren. Das provozierte einigen Widerspruch, da es wichtig sei, gegen solche Formen von Gewalt gegen Frauen anzugehen. Dass es gar nicht um das Ob, sondern um das Wie ging, zeigte sich spätestens bei dem Beispiel, das Linda Hentschel in die Diskussion einführte: Am Beispiel eines Time Magazine-Titels erläuterte sie, wie ein Bild einer im Gesicht verstümmelten Frau mit Kopftuch zum Zwecke der westlichen Kriegspropaganda missbraucht wurde ("What happens if we leave Afghanistan").

Zahlreiche Wortmeldungen

Auch die Frage, inwieweit Pornos oder sexualisierte Bilder im Netz nicht auch der (z.B. weiblichen) Selbstermächtigung dienen können oder einen Raum für nicht normgerechte Geschlechter und Begehrensformen eröffnen, wurde ziemlich lebhaft diskutiert. Dabei zeigte sich, dass sich Theorie und Empirie ziemlich gut verständigen können. Die eher diskurstheoretischen Überlegungen von Hentschel und Engel ließen sich bestens mit denen von Johannes Gerner und Silja Matthiesen verbinden. Das läuft bekanntlich nicht immer so gut und war an dieser Stelle sehr produktiv.

Nana Adusei-Poku und Johannes Gernert

Linda Hentschel

Die Frage, wer jetzt Porno ist, wurde nicht beantwortet. Was aber auch nicht so schlimm ist, denn Nana Adusei-Poku betonte direkt zu Anfang, dass dieses Panel nicht die Frage lösen könne, was Porno denn nun sei. Da bleibt uns nur noch, Manuela Kay (Chefredakteurin der Zeitschrift L-Mag) zu zitieren, die auf der Konferenz „Gender Happening“ des Gunda-Werner-Instituts die Subjektivität solcher Aussagen betonte: "Guter Porno ist das, was mir gefällt."

Das Publikum diskutiert rege mit

Im Schnelldurchlauf


Paralell fanden am Freitag Vormittag sechs Foren und am Nachmittag fünf Foren statt. Das Video "Fast Forward" gibt einen kurzen Einblick in die Vielseitigkeit des Kongresses.

Freitag, 29. Oktober 2010

Forum 11: Die virtuelle Buchführung der Liebe


von Elisabeth R. Hager

Nach dem Besuch der Diskussionsrunde „Eine Liebe wie Buchhaltung: Romantische Beziehungen und Pragmatismus im Konsumzeitalter“ sieht es so aus, als tummelten sich in den virtuellen Sphären des Internets Lebens- und Liebesentwürfe, denen nicht mehr gemeinsam ist als ein je eigener E-Mailaccount. Unter der Leitung der Publizistin Mercedes Bunz diskutierten der Soziologe und Geschichtswissenschaftler Bastian Schmithal, die Journalistin und Internet-Datingexpertin Judith Alwin sowie die interdisziplinär arbeitende Künstlerin und Politaktivistin Tanja Ostojić über die Liebe im Zeitalter ihrer virtuellen Verfügbarkeit.



Der Familien- und Partnerschaftssoziologe Bastian Schmithal sprach über medial geschürte Vorstellungen von Liebesbeziehungen und ihre Verquickung mit wirtschaftlichen Interessen. Dabei beschäftigte er sich allerdings ausschließlich mit der Institution Ehe und verlor kein Wort über die negativen Implikationen der Ehe als System stützendes Element in der patriachalen Gesellschaft. In der anschließenden Diskussion wurde ebenfalls kritisch angemerkt, dass nicht normative Liebesmodelle im Referat unter den Tisch gefallen waren.



Wer geglaubt hatte, der nächste Diskussionsbeitrag würde ein paar Schritte weiter in Richtung queer diversity gehen, wurde eines Besseren belehrt. Judith Alwin, Erfolgsautorin des Buches „Ins Netz gegangen“ zeichnete ein Bild der Liebesforen im Internet, das eher an die Fünfzigerjahre erinnerte denn an 2010. In der Diskussion hielten gleich mehrere Frauen aus dem Publikum entgegen, dass im Netz weit mehr existiere, als der von Alwin heraufbeschworene „Otto-Katalog für Partnersuchende“.



Nach der Pause bekam die Veranstaltung durch den Redebeitrag der Künstlerin und Politaktivistin Tanja Ostojić dann doch noch einen subversiven Turn. Ostojić stellte ihre Kunstaktion „Searching for a husband with EU passport“ (2000-2005) vor, an deren Anfang sie sich als kahl rasierte, heiratswillige Migrantin im Internet auf die Suche nach einem potentiellen Ehemann gemacht hatte. Zahlreiche Reaktionen heiratswilliger Männer veröffentlichte sie im Internet. Schließlich heiratete sie, zog zu ihrem Mann nach Deutschland und veröffentlichte die Ehe inklusive der Scheidungsparty als Kunstaktion.

In der Schlussrunde standen sich die unterschiedlichen Perspektiven auf die Ehe dann noch einmal monolithisch gegenüber. Mercedes Bunz allerdings verstand es gekonnt, die im Plenum geäußerte Kritik in ihr Schlussplädoyer einzubauen. Judith Alwin verwies erneut auf steinzeitliche Partnerstereotype im Internet, Bastian Schmithal riet zu mehr Vernunft in Liebesdingen und die Forderung von Tanja Ostojić soll auch Schlusswort dieses Artikel sein: „Try to decolonise your minds!“

Fotostrecke - Impressionen vom Freitag

unser Missy Magazine-Pressebüro
unser Interview mit Eva Illouz
Ende des Tagesprogramms um 18.00 Uhr
we are still at work...

Forum 7: Fit für die Fortpflanzung? Körper für die Leistungsgesellschaft

Was bedeuten die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin für die Gesellschaft? Führen sie tatsächlich zu mehr Selbstbestimmung? Welche Rolle spielen unterschiedliche Akteur_innen in der Diskussion um das Recht auf Abtreibung?

Dr. Anne Waldschmidt, Professorin für Soziologie und Politik der Rehabilitation, Sarah Diehl, Afrikawissenschaftlerin und Filmemacherin, und Lena Correll, Soziologin und Sinologin, diskutierten sehr unterschiedliche Aspekte der Fortpflanzungspolitik und -technologie. Demografische Entwicklung, ethische Argumentationen und ökonomische Zwänge spielen in der gesellschaftlichen Debatte ineinander.

von Claire Horst

Der Kulturanthropologe Sven Bergmann führte in das Thema Reproduktionstechnologie ein. Er wies auf die zentralen Veränderungen hin, die moderne Technologien für unser Verhältnis zum Körper bedeuten. So habe die Pille den weiblichen Körper kontrollierbarer gemacht. Visualisierende Methoden wie der Ultraschall hätten die Wahrnehmung von Mutterschaft verändert: Dass auf Bildern nur der Embryo zu sehen sei, reduziere die Mutter auf eine reine Nährumgebung.

Aufschlussreich sind auch die unterschiedlichen sprachlichen Herangehensweisen, die er zitierte. Von neutralen Bezeichnungen wie "Reproduktionsmedizin" über die euphemistische "Kinderwunschbehandlung" bis zum "Retortenbaby" oder "Cyborg" gehen die Semantisierungen, mit denen die Reproduktionsmedizin thematisiert wird.

Bergmann nannte schon die Spannungsfelder des Themas: Die Möglichkeit, kinderlosen Paaren zum Wunschkind zu verhelfen, führe zu einer "Hoffnungsökonomie. Er wies darauf hin, dass sich schon in den siebziger Jahren Technologiekritik und Befreiungspotentiale gegenüber standen. Heute reiben sich Pro Life- und Pro Choice- Bewegungen aneinander.

Anne Waldschmidt, Gründungsmitglied des "Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik", sieht in der Diskussion um diese Technologie eine der zentralen Fragen unsere Gegenwart angesprochen, die Frage danach, was wir als schützenswert, was als bekämpfenswert ansehen. Dass die PND Leid verhindern kann, ist ein zentrales Argument für diese Technik. Warum wird das Leid, ein behindertes Kind zu gebären, so hoch angesetzt, fragte Waldschmidt. Sie vermutet dahinter ökonomische Interessen. Auch die These, PND verhelfe Frauen zu größerer Autonomie, überzeugt Waldschmidt nicht. Sie sieht in der PND die Gefahr, auf eine Normalisierungsgesellschaft zuzusteuern, in der Anderssein nicht mehr toleriert wird.

Wird Kinderkriegen immer mehr zu einer Leistung für die Gesellschaft? Erhöht sich damit der Erwartungsdruck an Frauen, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen? Diese Fragen stellte sie in den Raum.

Sarah Diehl, die zweite Referentin, beschäftigt sich mit den Zugangsbeschränkungen, die in Bezug auf Abtreibung in Deutschland bestehen. Deutschland ist eins von vier Ländern in der EU, in denen Abtreibung immer noch illegal ist. Diehl kritisierte die rechtliche Lage, nach der der Embryo als Rechtssubjekt konstruiert werde und damit der Frau als gleichwertig gegenübergestellt werde. Daneben bereiten ihr die Aktivitäten selbsternannter "Lebensschützer_innen" Sorgen. Im Internet, in Schulen und in Kampagnen betrieben diese Gruppen Gegenaufklärung. Im Verlauf ihrer Studien hat Diehl festgestellt, dass Frauen so verunsichert sind, dass sie sich kaum über ihre Erfahrungen mit Abtreibung austauschen.

Lena Correll, die ihre Dissertation zum Thema Fortpflanzung geschrieben hat, hakte bei der These ein, dass Kinderkriegen immer mehr zu einer Leistung für die Gesellschaft werde. Familienpolitik werde wieder zur Bevölkerungspolitik, wenn die demografische Entwicklung angeführt werde.

Sie stellte weiterhin fest, dass Frauen immer noch die Hauptverantwortung für die Fortpflanzung übertragen werde. Männer würden nur am Rande einbezogen, etwa mit der Regelung der Vätermonate.

In der anschließenden Diskussion tauchte ein Verständigungsproblem auf, das den gesamten Kongress durchzog. Unterschiedliche Generationen von Feministinnen sprechen anders und über andere Themen. So bemängelte eine Teilnehmerin, die Vielfalt an Themen wie Queerness, Migration und schwule Vaterschaft verdränge die klassische Frauenpolitik.

Andere fühlten sich von der Diskussion in ihrem Wunsch bestärkt, den wachsenden Normierungsdruck zu kritisieren. Eine Beteiligte beklagte das Verstummen linker Kritik an menschenfeindlicher Diskussionsführung. Es sei einfach, Sarrazins Äußerungen zur Genetik zu kritisieren. Viel notwendiger sei aber eine Kritik an aktuellen Entwicklungen in der Genforschung oder an normierenden Castingshows.